Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Greenpeace Schwarzbuch Pkw-Lobby: "Die Bundesregierung legt die Hände in den Schoß"

Foto: Greenpeace/Janin Höhner

Schwarzbuch von Greenpeace Bruderküsse in der Autoindustrie

Die Politik macht in Deutschland die Gesetze, die Autoindustrie muss die Vorgaben einhalten. So sollte es eigentlich laufen. Tut es aber nicht - wie ein Schwarzbuch von Greenpeace zeigt.
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

SPIEGEL ONLINE: Herr Austrup, mit dem Schwarzbuch zur Autolobby  beleuchtet Greenpeace die Verflechtungen zwischen Autoindustrie und Politik. Das Titelblatt zeigt Daimler-Chef Dieter Zetsche wie er dem Verkehrsminister Alexander Dobrindt einen Bruderkuss gibt. Ist das nicht etwas übertrieben?

Foto: Mike Schmidt / Greenpeace

Tobias Austrup, Jahrgang 1981, ist studierter Politikwissenschaftler und arbeitet seit 2012 als Energie- und Verkehrsreferent in der Politischen Vertretung von Greenpeace in Berlin.

Austrup: Das Motiv symbolisiert die intime Nähe zwischen Autoindustrie und Politik. Die Protagonisten sind dabei austauschbar. Wir hätten auch den VW-, BMW- oder Opel-Chef zeigen können in inniger Umarmung mit Kanzlerin Merkel statt Dobrindt. Alle deutschen Autohersteller versuchen mit mächtigen Lobbyisten, die Politik zu beeinflussen. In unserem Buch kommen wir auf 33 aktive und ehemalige Politiker, die der Autoindustrie zu Diensten sind - ohne dass die Liste vollständig wäre.

SPIEGEL ONLINE: Sie halten die Verbrüderung zwischen Autokonzernen und Politik für sehr gefährlich. Warum genau?

Austrup: Weil die Autoindustrie vom Umweltschutz freigestellt wird. Der Verkehrssektor hat in einem Vierteljahrhundert nichts zum Klimaschutz beigetragen. Der CO2-Ausstoß liegt hier noch genauso hoch wie 1990 - ein Skandal! Statt in Innovationen investiert die Autoindustrie in Lobbyarbeit. Das schadet langfristig auch der Branche selbst. Sie wird innovationsfeindlich.

SPIEGEL ONLINE: Woran machen Sie das fest?

Austrup: In Europa haben wir extrem schwache CO2-Grenzwerte für Pkw, nichtssagende Effizienzlabel, die große Autos bevorzugen, und - gerade in Deutschland - großzügige Dieselsteuerprivilegien. Dazu kommt aktuell ein branchenweiter Abgasskandal , bei dem die Bundesregierung seit Monaten die Hände in den Schoß legt.

SPIEGEL ONLINE: Welche Mittel setzt die Autoindustrie denn ein, um auf die politischen Entscheider Einfluss zu nehmen?

Austrup: Das Prinzip ist immer ähnlich: Die Industrie wirbt hochrangige Politiker oder Mitarbeiter aus der zweiten Reihe ab. Diese Seitenwechsler kennen die Prozesse und haben beste politische Kontakte. Vor allem setzt die Industrie auf Seitenwechsler aus der Nähe des Kanzleramts oder der Kanzlerin selbst. Daimler-Cheflobbyist Eckart von Klaeden ist als ehemaliger Staatsminister im Bundeskanzleramt und Merkel-Vertrauter sicherlich eines der prominentesten Beispiele. Diese Seitenwechsler übernehmen dann die Rolle des Einflüsterers für Regierungsspitzen. Mit dem Ziel, die Politik der Bundesregierung an allerhöchster Stelle zu beeinflussen. So schaffen es die Autokonzerne über Berlin, schwache Umweltstandards in Europa durchzusetzen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben Eckart von Klaeden als einen der prominentesten Vertreter der Seitenwechsel genannt. Sind die Bekanntesten aber auch die schlimmsten für Sie?

Austrup: Ein besonderes Geschmäckle haben die von uns Doppelspieler genannten Politiker. Klassische Beispiele sind diverse Abgeordnete des niedersächsischen Landtages und des Bundestages. Die saßen zwar in den Parlamenten, haben aber gleichzeitig für den VW-Konzern oder in dessen Sinne gearbeitet. So erhielt VW Zugriff auf alle wichtigen Dokumente im Parlament. Aktuelles Beispiel ist der Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth, der auch Partner einer Rechtsanwaltskanzlei ist, die Volkswagen im Abgasskandal berät. Im Bundestag sitzt er im Ausschuss für Verbraucherschutz und hat dort dafür gestimmt, einen für VW kritischen Bericht von der Tagesordnung zu nehmen.

SPIEGEL ONLINE: Wo wurde der Einfluss der Auto-Lobby aus Ihrer Sicht besonders offensichtlich?

Austrup: Da gibt es den Fall des EU-Abgeordneten Albert Deß. Der CSU-Politiker hat in einem Änderungsantrag vorgeschlagen, die Abgasvorschriften für Kleinbusse zu lockern. Erst später kam heraus, woher diese Idee stammte. In den Dokumenteneigenschaften von Deß' Antrag taucht die "Volkswagen Group" auf. Deß sagte damals zu seiner Verteidigung, er könne sich nicht erklären wie VW als Quelle in seinen Änderungsantrag gekommen sei. Das ist natürlich ein besonders krasses Beispiel .

SPIEGEL ONLINE: Hat Sie die Macht eines Lobbyisten besonders überrascht?

Austrup: Mir war die Rolle des heutigen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel für VW nicht ganz klar. Als Ministerpräsident von Niedersachsen hat Gabriel eine Zeit lang im Aufsichtsrat des Konzerns gesessen. Nach seiner Abwahl als Landeschef beschäftigte VW ihn mit einem Beratervertrag weiter mit dem Anliegen, Gabriel solle sich in Brüssel in Sachen Abgasgrenzwerte umhören. Später, als designierter Umweltminister im Bund, leitete er auch die Verhandlungen zum Klimaschutz im Verkehrsbereich. Im Koalitionsvertrag übernahmen die Koalitionäre dann die Position des europäischen Automobilverbandes ACEA zum CO2-Ausstoß, der sich für eine Selbstverpflichtung der Industrie und gegen gesetzlich Vorgaben einsetzte.

SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Schwarzbuch taucht - etwas überraschend - auch ein Grüner auf: der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Wie kommt das?

Austrup: Am Anfang seiner Zeit als Ministerpräsident hat er die Messlatte hoch gelegt. "Weniger Autos sind besser als mehr", sagte Kretschmann damals. Dafür hat er sehr viel Ärger bekommen, so etwas sagt man im Autoländle scheinbar nicht ungestraft. Entsprechend schnell wechselte er den Kurs. In seinem jüngsten Wahlspot steigt er demonstrativ in seinen Dienst-Mercedes. Kein Skandal, aber er hätte diesen Wagen nicht zeigen müssen. Es war ein subtiles Zeichen, dass Kretschmann künftig keine kritischen Aussagen zu Autos mehr treffen wird.

SPIEGEL ONLINE: Was muss passieren, um diese Verflechtung zwischen Autoindustrie und Politik aufzubrechen?

Austrup: Erst einmal muss der VW-Abgasskandal aufgeklärt werden. Dazu wollen Grüne und Linke noch im April einen Untersuchungsausschuss beschließen. Gut so, denn das, was der Verkehrsminister und das Kraftfahrt-Bundesamt da gerade machen, ist nichts anderes als Arbeitsverweigerung. Zweitens brauchen wir einen generellen Mentalitätswechsel. Die Politik muss verstehen, dass klare umweltpolitische Rahmenbedingungen langfristig Arbeitsplätze sichern, denn der Verkehrssektor wird sauberer werden müssen. Die Hersteller wiederum sollten an Innovationen arbeiten, statt an ihrer Lobbystrategie. Sonst droht der Autostandort Deutschland abgehängt zu werden - bei der Elektromobilität sieht es jetzt schon danach aus.